Welche Sprache sollte die gemeinsame Arbeitssprache in der EU werden?

Wenn man sich innerhalb der EU auf eine gemeinsame Sprache einigt, und das wird früher oder später der Fall sein müssen, ist es nicht damit getan, die Sprache irgendeines Mitgliedlandes als Arbeitssprache zu wählen, denn sprachliche Macht führt auf allen Gebieten zu größerer Macht.

Lateinisch?

In den vergangenen Jahren sind viele Vorschläge gemacht worden, Latein als Arbeitssprache einzuführen, weil die europäischen Sprachen viele Wörter haben, die vom Lateinischen abstammen. Lateinisch ist außerdem keine nationale Sprache mehr, wenn man davon absieht, dass sie neben dem Italienischen die offizielle Sprache des Vatikanstaates ist. Leider ist die Grammatik der lateinischen Sprache so schwer, dass sich die logische Lösung anbietet, stattdessen Esperanto zu wählen, eine Sprache, die als das Latein der modernen Zeit betrachtet werden kann und die eine sehr einfache und leicht erlernbare Grammatik hat, wo ca. 80% der Wortstämme aus dem Lateinischen stammen oder der vom Latein entwickelten romanischen Sprachen.

Würde man innerhalb der EU Esperanto als Arbeitssprache wählen, würde das zwischen allen EU-Staatsbürgern zu einem höheren Grad an sprachlicher Gleichrichtung führen, vor allen Dingen auch zu einem Schutz für alle Sprachen und Kulturen, in welchen diese praktiziert werden. Was ist besser, kulturelle Gleichrichtung oder kulturelle Vielfalt?

Emma Bonino ist eine Politikerin in Italien und sitzt in der Europäischen Kommission. In einem Zeitungsinterview sagte sie, dass das Fehlen einer gemeinsamen Förderationssprache die ökonomische Entwicklung innerhalb der EU behindert. Sie sagte außerdem, eine neutrale Sprache hätte den Vorteil, die Vielfalt und Sprachminderheiten zu schützen. Sie setzte sich für Esperanto ein, da aus verschiedenen Untersuchungen hervorgegangen ist, dass dadurch das Lernen anderer Sprachen beschleunigt würde.

Solidarität

Aus Solidarität mit den armen Ländern der Welt sollte man sich innerhalb der EU auf eine gemeinsame Arbeitssprache einigen. Dabei sollte man eine leicht erlernbare und neutrale Sprache wählen. Die englische Sprache mit ihrer komplizierten Schreibweise, Grammatik und möglicherweise noch schwierigeren Aussprache verlangt eine zu lange und damit teure Lernzeit, außerdem erfordert das eine hohe Kompetenz bei den Lehrern.

In einer Welt, die immer mehr zusammenrückt, sollten wir innerhalb der EU, wenn wir eine gemeinsame Arbeitssprache wählen, auch über die Grenzen der EU hinausblicken, denn welche Sprache wir auch wählen, wird ein solcher Beschluss für den Rest der Welt von großer Bedeutung sein. Die Welt von heute hat in Bezug auf Kommunikation zwischen den einzelnen Sprachgebieten einen großen Bedarf an gemeinsamer Sprache. Nicht nur, weil die Welt immer komplizierter wird und die internationalen Kommunikationen sich immer schneller entwickeln.

Kann sich die EU auf eine gemeinsame Arbeitssprache einigen, die dann auch in allen Schulen der EU-Länder unterrichtet wird, wird diese Sprache zu einer Weltsprache werden, auch als offizielle Sprache innerhalb der UNO, weil die EU immer größer wird und eine immer größere Bedeutung in der Weltwirtschaft einnimmt.

Wählen Sie richtig – wählen Sie .........

Die heute einzig denkbare Arbeitssprache, neben dem Esperanto, ist in der Realität die englische Sprache. Wählt man die englische Sprache als Arbeitssprache, würde das eine weitere Bedrohung für die Existenz einer Reihe kleinerer Sprachen bedeuten sowie eine weitere Verstärkung der englischen und amerikanischen Beeinflussung im Kulturleben von Europa (und auch anderer Kontinente) Des weiteren auch ein mehr konformistisches Europa und eine stärker konformistische Welt. Außerdem ist die englische Sprache derart schwer erlernbar, dass die Mehrzahl der Europäer außerstande sein würden, den Debatten in den verschiedenen Organen der EU zu folgen, deren Protokolle lesen zu können usw. Die englische Sprache hat im übrigen nicht die internationale, sprachliche Dominanz, wie man in Europa gerne glaubt.

Wollen Sie nicht ein multikulturelles Europa und eine multikulturelle Welt bewahren? Ein multikulturelles Europa ist mehr die Summe ihrer verschiedenen Kulturen, denn viele verschiedene Kulturen bedeuten, dass diese aufeinander einwirken und zu einer erhöhten kulturellen Entwicklung inspirieren. Dadurch gewinnen alle, auch die englischsprachigen Völker.

Warum nicht Chinesisch?

Falls die EU trotzdem eine nationale Sprache wählen will, welche soll sie dann wählen? Aus verschiedenen Gründen müsste diese Sprache in den Schulen der EU-Länder die obligatorische Sprache werden. Wir können nicht verlangen, dass alle Schüler zwei oder mehr Sprachen lernen sollen. Deshalb muss die Sprache international gangbar sein. Ein Land, dass eine starke wirtschaftliche Entwicklung erlebt und bald 1 300 000 000 Einwohner hat, d.h. bedeutend mehr Einwohner als England, die USA, Kanada und Australien zusammen, ist China. Es gibt mehr Menschen, die chinesisch sprechen als solche, die eine andere Sprache sprechen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass China in 50 Jahren die größte, ökonomische Großmacht darstellt. Im Jahre 2002 war der wirtschaftliche Zuwachs dort z.B. über 7%. Werden die Chinesen auch in Zukunft Englisch mit uns sprechen? Sollen wir vielleicht Chinesisch als gemeinsame Arbeitssprache in der EU werden lassen? Das wäre vielleicht eine gute Vorausplanung und würde uns in der EU dabei unterstützen, gute Handelsverbindungen mit dem gigantischen Markt Chinas zu entwickeln. Oder sollen wir den Chinesen auf halbem Wege entgegenkommen? In China hat man heute eine positive Einstellung zum Esperanto. Man unterrichtet in Esperanto und gibt u.a. mehrere Zeitschriften in Esperanto heraus. Außerdem gibt es Rundfunkprogramme in dieser Sprache. Ist man in 50 Jahren wohl noch genau so positiv?

Schwere koloniale Belastung

Auch wenn viele auf die englische Sprache setzen, muss man sich im Klaren darüber sein, dass diese niemals als gemeinsame, internationale Sprache akzeptiert wird. Auf der einen Seite würden u.a. die spanisch- und französischsprachigen Länder das nie akzeptieren, auf der anderen Seite hat dies eine viel zu schwere koloniale Belastung. In Indien, der arabischen Welt und in Lateinamerika gibt es beispielsweise große Gruppen, die aus diesem Grunde der englischen Sprache gegenüber negativ eingestellt sind. Und im übrigen, welche Variante der englischen Sprache sollte man wählen? Oxford English, was von nur 3-5% der englischen Bevölkerung gesprochen wird, oder General American, das die englische Variante ist, die von den meisten gesprochen wird? Es gibt noch eine Reihe weiterer Varianten mit verschiedener Schreibweise und unterschiedlicher Aussprache.

Es ist auch überhaupt nicht sicher, dass zwei Personen, die beide Englisch sprechen, sich untereinander verstehen. Das hat mir ein Engländer erzählt, der als Übersetzer arbeitet.

Alle sind nicht sprachbegabt

Wer vorschlägt, dass die englische Sprache zur Weltsprache werden soll, hat entweder Englisch als Muttersprache und ist sich nicht bewusst, welche problematische Sprache die englische Sprache eigentlich ist, oder er/sie hat durch viele Mühen die englische Sprache erlernt und ist zu faul, eine andere Sprache zu lernen, oder er/sie ist ein Sprachengenie, der nicht einsieht, dass nicht alle gleich sprachbegabt sind.

Bei einer Untersuchung in sechs westeuropäischen Ländern hat man festgestellt, dass ungefähr 7% der Bevölkerung einen normal schwierigen englischen Text gut verstehen konnten.


© Hans Malv, 2004